Diskriminierung an Schulen: Wenn Lehrende Schüler*innen beleidigen

ein Interview mit N. Schlenzka (Antidiskriminierungsstelle des Bundes) / Spiegel online / 31.07.2019

100_0075„SPIEGEL ONLINE: Frau Schlenzka, welche Fälle von Diskriminierung treten an Schulen besonders häufig auf?

Schlenzka: Zum einen hören wir von Rassismus, zum Beispiel: Ein Lehrer sagt zu einem türkischen Mädchen, dass ihre schlechten Noten ja nicht schlimm seien, weil sie eh bald heirate. Solche Vorurteile führen häufig zu einer schlechteren Bewertung von Leistungen. Wir wissen auch von Diskriminierung in Bezug auf die Religion, zum Beispiel antisemitischen Beleidigungen auf dem Schulhof oder wenn Mädchen mit Kopftüchern nicht am Sportunterricht teilnehmen dürfen. In den vergangenen Jahren haben uns außerdem viele LGBTQ-Fälle erreicht: von Schülern oder Schülerinnen, die in der Schule ihren Namen ändern möchten oder auf dem Schulhof beschimpft werden. Gelegentlich melden sich auch Lehrerinnen und Lehrer.

SPIEGEL ONLINE: Berlin ist das erste und einzige Bundesland mit einer Antidiskriminierungsbeauftragten für Schulen. Wieso?

Nathalie Schlenzka: In Berlin gab es eine günstige Gemengelage aus politischem Willen und verschiedenen Vereinen und Organisationen, die schon lange eine Antidiskriminierungsbeauftragte gefordert haben. Dort trauen sich die Leute vielleicht eher, dieses Problem anzusprechen. In anderen Bundesländern steht es auf der Prioritätenliste oft nicht so weit oben. Dabei wissen wir, dass es ein bundesweites Problem ist: In einer repräsentativen Umfrage haben wir festgestellt, dass in den vergangenen zwei Jahren rund 24 Prozent der Befragten deutschlandweit Diskriminierung im Bildungsbereich erlebt haben.

SPIEGEL ONLINE: Diskriminierung kann verheerende Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl und die Leistung von Schülern haben. Warum hat das in anderen Bundesländern weniger Priorität?

Schlenzka: Schulen geben ungern zu, dass sie Probleme mit Rassismus und Diskriminierung haben. Das hat sich in den vergangenen Jahren gebessert, vielleicht auch, weil Medien solche Fälle stärker thematisiert haben. Trotzdem gilt noch häufig: Wenn einzelne Länder das Problem hoch aufhängen, gestehen sie ein, dass dort etwas schiefläuft. Es besteht auch immer wieder die Gefahr, dass Diskriminierung zwischen anderen Schulthemen wie Digitalisierung untergeht. Dieses Thema muss ernster genommen werden.

SPIEGEL ONLINE: Die Zahl der gemeldeten Diskriminierungen an Berliner Schulen soll sich in den letzten Jahren verdoppelt haben. Woher kommt das?

Schlenzka: Nicht die Zahl der Fälle ist gestiegen, sondern die Fälle, die bekannt geworden sind. Wenn es Stellen gibt, an die ich mich wenden kann und die das dokumentieren, steigen natürlich auch die Zahlen. Genau darum geht es: Wenn eine Landesregierung die Beschwerden nicht zählt, weiß auch niemand davon. Deshalb fordern wir, dass Diskriminierungsfälle systematisch dokumentiert werden.

SPIEGEL ONLINE: Warum ist das bisher nicht der Fall?

Schlenzka: Wir haben eine Regelungslücke in Deutschland: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz schützt vor Diskriminierung im Arbeitsleben oder im Dienstleistungsbereich – aber eben nicht im Bildungsbereich. Es hängt an jedem Bundesland, ob es einen Antidiskriminierungsbeauftragten geben muss, beispielsweise durch Änderung der Schulgesetze.

SPIEGEL ONLINE: Viele Schulen schmücken sich mit dem Titel „Schule gegen Rassismus – Schule mit Courage“. Ist das verdient?

Schlenzka: Solche Titel oder auch Projekte sind wichtig, um stärker für das Thema zu sensibilisieren. Trotzdem wissen wir natürlich, dass Schulen mit diesen Titeln nicht frei von Diskriminierung sind. Sie müssen präventive Gesamtkonzepte entwickeln und sich zum Beispiel fragen: Will man eine Klasse oder die ganze Schule sensibilisieren? Richten sich die Programme auch an Lehrer? Welche Ansprechpersonen gibt es?

SPIEGEL ONLINE: Wie viele Beschwerden über Diskriminierung wurden der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im vergangenen Jahr gemeldet?

Schlenzka: Im vergangenen Jahr hatten wir 219 Fälle, das entspricht sechs Prozent aller Beratungsanfragen. Auch in den letzten zwei Jahren waren die Zahlen ähnlich. Wir finden es interessant, dass wir so viele Anfragen zu Diskriminierung an Schulen bekommen – obwohl wir offiziell als Stelle des Bundes eigentlich nicht dafür zuständig sind. Ich glaube, viele Leute wissen einfach nicht, wo sie vor Ort Unterstützung bekommen können. Wir schauen dann, ob wir Hilfe vermitteln können.

SPIEGEL ONLINE: Berlin hat eine Antidiskriminierungsbeauftragte für Schulen. Aber nehmen wir an, ein Kind besucht eine Schule in Bayern und wird von einem Lehrer diskriminiert. Was kann es tun?

Schlenzka: Beratungsstellen wie in Berlin sind im Flächenstaat Bayern vergleichsweise selten. Wenn man merkt, dass man an einer Schule nicht weiterkommt, kann man sich dort an die Schulaufsicht wenden. Aus Erfahrung wissen wir aber: Es ist nicht immer klar, wie stark Fälle von Diskriminierung in der Behörde priorisiert werden und inwiefern Mitarbeiter geschult sind, damit umzugehen. Häufig sehen die das Problem eher beim Kind als bei der Schule oder dem Lehrer.

SPIEGEL ONLINE: Das Problem soll beim Kind liegen?

Schlenzka: Solche Schilderungen hören wir von Betroffenen oder anderen Beratungen häufig: Fälle werden bagatellisiert und nicht ernst genommen. Ich weiß zum Beispiel von einer Beratungsstelle in Hamburg, die schreibt: „Bei den Konflikten kommt es häufig zu einer Täter-Opfer-Umkehr, wenn Eltern Probleme ansprechen und sich wehren. Die Folgen sind Hausverbot und die Aufforderung, die Schulen zu wechseln.“ Das kann im Extremfall passieren. Deshalb müssen auch Behördenmitarbeiter gezielter geschult werden.“

(…)

 

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s