„Kindheit war schon immer ein gefährlicher Ort … „

Triggerwarnung: Katharina Ohana beschreibt im zweiten und wesentlich kürzeren Teil ihres Buches eindrücklich den langen aber letzlich notwendigen therapeutischen Weg, die Traumta ihrer Kinheit zu bewältigen. Katharina Ohana kann darin ermutigen, sich den eigenen Dämonen zu stellen, spricht aber auch Themen an, die verstörend wirken können.

Auszug Teil 2 „Ich, Rabentochter“ (Katharina Ohana)

„Ich erkannte, dass meine Eltern, meine Familie und die Geschichte die Ursache für meinen Zustand waren. Da ich meine Eltern als Kind jedoch zum Überleben brauchte, hatte ich den Frust und den Hass, den ich wegen ihres Verhalten ständig anschaute, gegen mich selbst verwendet, mich selbst zum Blitzableiter degradiert, mich selbst verachtet und klein gemacht: Sie, meine Beschützer, meine Orientierung, konnten nicht schlecht sein; ich selbst war nicht gut genug (…).
Die Therapeutin (…) erklärte mir die Welt nicht, so wie ich es erwartet hatte, und sagte mir auch nicht, wie ich leben sollte. Sie fragte nur ab und zu nach und wenn ich aus Angst vor Schmerz schnell über eine Gegebenheit hinwegerzählte, hakte sie ein, interessierte sich für mein Gefühl.
Mit ihrem Mitgefühl machte sie mir klar, dass es nicht normal war für ein Kind, tagtäglich von seiner Mutter gedemütigt zu werden, ihre Stimmung auszuhalten und sie zum Leben zu überreden. Es war nicht normal, ihre Ausbrüche und depressiven Schübe mit Gehirnhausentszündungen und Asthmaanfällen zu boykottieren. (…) Es war nicht normal, dass sich niemand für die Schule, für die Hobbys interessierte, dass niemand zuhörte, dass man Magersucht hatte oder Bulimie oder Geld klaute und Autos kaputtfuhr oder vergewaltigt wurde und die Eltern es (…) als Lüge abtaten, als übermäßige Fantasterei, mit der man sich interessant zu machen versuchte (…).
Ich war mit dem Gefühl aufgewachsen, nicht gut genug zu sein, das war die einzig mögliche Erklärung für die Suizidgedanken meiner Mutter und die Gleichgültigkeit meines Vaters. Ich hatte die Welt durch diese Brille sehen gelernt und sie filteret auch weiterhin meine Sichtweise auf das Leben. Sie ließ nur Kritik und Fehler in mein Blickfeld, jedes Lob, jedes erreichte Ziel bließ außen vor und verschwand im Schatten dieser Übermacht. (…)
Ich begriff, dass meine Mutter uns Mädchen als Stützen in das Szenerio ihrer kranken Welt eingebaut hatte. Ihre neurotischen Lebensregeln, der verletztende Umgang miteinander wurde unser Maßstab, an dem wir lieben und leben lernten. (…) Sie spielte Rollen, inszenierte sich als Mutter, Freundin, Ehefrau. Man tat gut daran, sich ihr nicht anzuvertrauen, denn sie missbrauchte jede Information, um sich damit in Szene zu setzen. Mit salzigen Messern stach sie in die Wunden der anderen, nur um sich selbst ein bisschen mächtig zu fühlen. (…)
Jede Sekunde der (…) folgenden Jahre habe ich die Angst eines tief verunsicherten Kindes gespürt, das ich zwar nicht mehr war, das jedoch immer noch zitternd in mir zu sitzen schien. Die Zeit meiner Kindheit, diese große Unerträglichkeit, war lange vorbei, doch sie verfolgte mich weiterhin in den falsch erlernten Verhaltensregeln, die der Wirklichkeit nicht entsprachen. (…)
IMG_4487Ich musste das ganze System umrüsten, um meine psychische Softwareentwicklung von der infantilen, archaischen Programmierung zu lösen und mit den Grudnregeln eines glücklichen Lebens irgendwann einmal kompartibel zu sein. Dieser Zustand war nur mit dem langsam wachsenden Vertrauen zu meiner Analytikerin zu ertragen. (…) egal, was passierte, ob ich  mich blamierte oder völlig versagte, spätestens am Montag durfte ich wieder zu ihr kommen. An dieser Verlässlichkeit gesundete schließlich mein Lebensgefühl. (…) Sie hat den Missständen etwas entgegengesetzt und mir neue Handlungsmöglichkeiten und eine gesunde Beziehungsfähigkeit erschlossen. Ich merkte, dass es möglich war, über alles zu reden und für alles eine Lösung oder einen Kompromiss zu finden, ohne emotionale Erpressungen, Selbstmorddrohungen und (…) Gekreische. (…)
Es ist die Selbstsicherheit, die uns frei macht, der eigene Raum, den wir uns zu nehmen trauen. Fünf Jahre hat dieser Prozess meiner Befreiung gedauert. Am Ende war aus meiner gebrochenen Existenz ein Charakter geworden.“

 

 

 

 

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