Auszug aus dem Zeit online-Inteview: „Man wird Ihnen sagen: Ihre Tochter ist aber auch nicht ganz einfach“ mit Sebastian Walter (Bündnis 90/Die Grünen); geführt von Judith Luig. 18.11.2018
„Walter: Bei Diskriminierung ist zentral, wie etwas ankommt. Nicht, wie es gemeint ist. Es reicht eben nicht aus, gute Absichten zu haben. Und es ist geradezu absurd, wenn Lehrerinnen – wie in diesem Fall geschehen – kollektiv versichern, es gebe keine Diskriminierung an ihrer Schule. Diese Behauptung wird auf dem Rücken von Menschen mit realen Diskriminierungserfahrungen ausgetragen, wie in diesem Fall der Schulleiterin oder der Antidiskriminierungsbeauftragten. Das ist nicht akzeptabel.
ZEIT ONLINE: Was sollte man stattdessen tun?
Wir müssen Diskriminierungen ernst nehmen
Walter: Wenn jemand sagt, ich bin diskriminiert worden, dann sollte man das zuerst mal ernst hinnehmen. Das klingt banal, ist aber sehr wichtig. Denn genau das passiert noch zu selten.
ZEIT ONLINE: Warum nicht?
Walter: Es fehlt das Bewusstsein dafür, dass Diskriminierung Alltag ist. Weil wir – und da schließe ich mich mit ein – auf die Unteilbar-Demo gehen, weil wir gegen die AfD sind oder weil wir uns über Populisten empören, glauben wir als Teil der Mehrheitsgesellschaft schnell, dass wir frei von diskriminierendem Verhalten sind. Aber erst, wenn wir akzeptieren, dass Menschen ständig diskriminieren und diskriminiert werden, dass wir alle mit bestimmten Stereotypen aufgewachsen sind, können wir auch damit anfangen, etwas dagegen zu tun. Deswegen ist die Lösung des Problems die Professionalisierung.
ZEIT ONLINE: Wie könnte das gelingen?
Walter: Es braucht eine umfassende Antidiskriminierungsstrategie für Schulen. Das beginnt mit klaren Beschwerde- und Interventionsstrukturen an jeder Berliner Schule, damit Schüler und Schülerinnen wissen, an wen sie sich wenden können. Das geht weiter mit einer verbesserten Aus- und Fortbildung der Lehrerinnen und der Schulaufsicht. Der gleichberechtigte Umgang in einer vielfältigen Gesellschaft gehört in die Schulbücher. Dort finden sich noch viel zu häufig überkommene rassistische Stereotype.
ZEIT ONLINE: Das wären Maßnahmen für die Zukunft. Was ist mit der Gegenwart?
Walter: Es gibt externe Unterstützungs- und Beratungsangebote. In Berlin beispielsweise die zivilgesellschaftlich initiierte Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen. Oder bei der Antidiskriminierungsbeauftragten der Berliner Senatsverwaltung.
ZEIT ONLINE: Was kommt häufiger vor? Diskriminierung unter Schülern oder die, die vom Lehrer ausgeht?
Walter: Diskriminierung unter Schüler*innen darf nicht verharmlost werden. In der öffentlichen Diskussion wird aber oft ausgeblendet, dass auch von Lehrkräften und pädagogischem Personal diskriminierendes Verhalten ausgeht. Die Zahlen der Anlaufstelle zeigen, dass 67 Prozent der angezeigten Fälle auf Schulpersonal und Schule zurückgehen. Sie sind überwiegend rassistisch motiviert und treffen insbesondere schwarze Schüler*innen, Schüler*innen of Colour oder muslimische Schüler*innen. #MeTwo hat gezeigt, dass für die Mehrheit dieser gesellschaftlichen Gruppen entsprechende Erfahrungen Alltag sind.
ZEIT ONLINE: Gibt es Hoffnung, dass sich die Situation bessern wird?
Walter: Ja. Viele Schulen befassen sich jetzt offensiver damit. Sie begreifen, dass ein professioneller Umgang mit Diskriminierung individuell auch entlastend wirken kann und der Schulalltag einfacher und stressfreier wird. Diskriminierung hat Auswirkungen auf das Schulklima, auf Gewalt an der Schule ebenso wie auf die Leistung der Schüler*innen. Von einer verbindlichen und nachhaltigen Antidiskriminierungsarbeit profitieren am Ende alle.“