
Neben betroffenen Personen und Expert*innen aus unterschiedlichen Professionen kommen in dem Beitrag von Franziska Hochwald auch Lehrerinnen der kombinierten Außenstelle JELLA/Hegelstraße und eine Therapeutin der Wohngruppe JELLA (Christiane Dietsch) zu Wort.
„Etwa jeder dritte Jugendliche hat sich schon einmal selbst verletzt: Mit diesen Zahlen liegt Deutschland im europäischen Vergleich auf einem der Spitzenplätze. Selbstverletzung kommt besonders häufig vor bei Jugendlichen, die ihre negativen Gefühle vergleichsweise intensiv wahrnehmen, so Paul Plener, Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der MedUni Wien. Ein anderer Grund für Selbstverletzungen ist das Bedürfnis, überhaupt etwas zu fühlen und auch der Wunsch, über etwas im Leben die Kontrolle zu haben – und sei es nur über den eigenen Schmerz.
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Auch wenn drei Viertel der Jugendlichen erst im Alter zwischen 13 und 15 Jahren damit beginnen, sich selbst zu verletzen, kann diese Form, mit emotionalem Druck umzugehen, bereits im Kindesalter anfangen.
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Darüber, warum die Zahlen in Deutschland so hoch sind, gibt es bislang noch keine Erkenntnisse. Die Forschung geht davon aus, dass es beim ersten Kontakt mit selbstverletzendem Verhalten so etwas wie eine soziale Ansteckung gibt
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Nicht immer sind es schwere traumatische Erfahrungen, die zu selbstverletzendem Verhalten führen (…) Eine emotionale Misshandlung ist zum Beispiel das Herabwürdigen, das Nicht-Wahrnehmen von Gefühlslagen oder auch Vergleiche anstellen mit Geschwisterkindern
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Entsprechend häufig treten gleichzeitig zu selbstverletzendem Verhalten andere psychische Erkrankungen auf wie Depressionen oder Borderline-Störungen.
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Auch im Haus Jella in Stuttgart wird mit den Methoden der Dialektischen Behavioralen Therapie gearbeitet. Die Therapeutinnen entwickeln hier mit ihren Patientinnen gemeinsam eine individuelle Skill-Box, also ein Kästchen, in dem sich Hilfsmittel gegen den Druck sich zu ritzen befinden und das die Jugendlichen überallhin mitnehmen können. In so einer Box befinden sich Chilischoten und Finalgon-Verbände, die eine brennendes Gefühl auf der Haut auslösen sowie Gummibänder und Igelbälle.
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Durch neuere Forschungsmethoden kann der Mechanismus, mit dem Gefühle im Gehirn reguliert werden, auch bildlich dargestellt werden. Hier sieht man, dass bestimmte Regionen im Gehirn bei Menschen, die sich selbst verletzen, tatsächlich im Moment der Verletzung beruhigt werden.
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Im sogenannten Echtzeit-MRT gestützten Neurofeedback können Patienten durch bildgebende Verfahren direkt sehen, wie sie sich selbst regulieren. Diese Selbstwirksamkeit ist ein hilfreicher Nebeneffekt. Denn er stärkt das Gefühl der Jugendlichen, wieder Kontrolle über das zu bekommen, was zu ihnen und allein ihnen gehört: ihr eigener Körper und ihre eigenen Empfindungen.“