Eine junge Frau berichtet eindrücklich auf Brause*Mag von ihrer anfänglichen Begeisterung für GNTM und ihren aktuellen Blick auf das fragwürdige Format.
„Germany’s Next Topmodel gibt es jetzt schon seit 2006. Seit 12 Jahren wird aus der Unsicherheit junger Frauen und Mädchen Profit geschlagen. Nicht nur mit der der Teilnehmerinnen, auch mit der der Zuschauer*innen. Auch mit meiner.
„Ich, wie ich vor 12 Jahren versuchte eine Modebloggerin zu werden.“
Der Anfang
Vor 12 Jahren war ich 18 Jahre alt, genau wie viele der Teilnehmerinnen auch. Die erste Staffel habe ich begeistert geschaut. Ich war gerade voll drin im Mode-Thema, habe mir jede Saison die Modenschauen in Paris, London, New York und Mailand angeschaut, habe Modeblogs gelesen, selbst einen gestartet und habe in Online-Foren begeistert auf Bilder von neuen Editorials und Werbekampagnen gewartet. Ich wusste welche Models mit welchem Label exklusive Verträge hatten und bei welcher Agentur sie waren.
An GNTM hat mich vor allem der Glamour begeistert. Dieses Gefühl, ein bisschen hinter die Kulissen dieser erhabenen Welt blicken zu können, das fand ich toll. Der Blick hinter den Catwalk, hinter ein Fotoshooting, der Blick in die Maske, die außergewöhnlichen Kleider und die wunderschönen Fotos. Ich war den Teilnehmerinnen so nah, ich war genau in ihrem Alter, konnte ihre Ängste und Sehnsüchte so gut verstehen und war beeindruckt von ihrem Mut, ihren Traum zu verfolgen und ins Fernsehen zu gehen. Ich hätte sie sein können. Und gleichzeitig hätte ich niemals sie sein können. Ich war zwar dünn, aber Modelmaße hatte ich keine. Ich war zu klein. Ich hatte keine schöne Haut. Ich hatte keine Lust auf Nagellack, Haare stylen, Füße pflegen, keine Lust auf Rampenlicht, keine Lust auf urteilende Blicke und keine Lust darauf auf meine Mahlzeiten zu achten. Ich wollte sie nur anschauen und bewundern, die Models und ihre Welt.
Der Bruch
Irgendwann habe ich lange keine Folge von GNTM geschaut. Nach den ersten drei Staffeln sind alle an mir vorbeigeflogen, ohne, dass es mich interessiert hätte. Zuerst mochte ich die Modewelt immer noch, aber GNTM war mir nicht authentisch genug. Wer Mode mag, findet GNTM meist lächerlich. Dann mochte ich irgendwann die Modewelt auch nicht mehr. Der Gedanke daran, dass ein Haufen reicher Menschen mit so viel Macht so viele so junge Mädchen mit so vielen Unsicherheiten und so vielen Träumen so stark in der Hand hat, hat mich regelrecht angeekelt. Es gab so viele Berichte von Fotografen, die Models belästigen. So viele Berichte darüber, wie oft die jungen Frauen gegen ihren Willen handeln, wie viele von ihnen aus armen Familien kommen und ihre Eltern mit ein paar Euro ihres Model-Geldes unterstützen wollen und deswegen viel zu viel aushalten, ertragen und zulassen. Und auch so viele Berichte darüber, wie schädlich es für junge Frauen sein kann, sich all das anzuschauen, weil es dazu führt, dass sie sich vergleichen und in diesen Vergleichen immer verlieren.
Nach mehreren Jahren habe ich dann mal wieder reingeschaut. Und zuerst einmal habe ich mich vom Sender wirklich verarscht gefühlt. So viel Werbung und Product Placement? Die Models schminken sich und die Kamera zoomt auf die Mascara, danach auf den Rasierer. Nichts an dieser Sendung konnte ich mehr ernst nehmen. Eine reine Werbeveranstaltung und die jungen Models sind für den Sender völlig austauschbar, sie sind nur Hülsen für seine Story und seine Werbeverträge. Die Staffeln laufen alle nach dem gleichen Schema ab, alles wiederholt sich: die Schlüsselmomente (ich sage nur: “Umstyling”), die provozierten und künstlichen Streits, die Konflikte mit den Boyfriends wegen männlicher Shootingpartner, die Angst vor Spinnen oder anderen Tieren, die schlauen Kommentare von totaaaal wichtigen Modemenschen und so weiter und so fort. Natürlich fühle ich mich beim Schauen bestätigt: Wie mit den jungen Frauen umgegangen wird, ist schrecklich. Jugendliche werden sexualisiert und begutachtet wie ein Gegenstand. Das kommt auch bei den Zuschauer*innen an. Du musst das Gesamtpaket sein! Du musst “edgy” sein, damit du Deals für Editorials in Magazinen bekommst, aber auch natürlich schön, damit du große Werbeaufträge bekommst und sexy musst du auch sein damit du wasauchimmer bekommst und so toll bist wie Heidi! Und was heißt das? Edgy, natürlich schön, sexy… ? Dahinter verbirgt sich der Druck zur Anpassung an alles, was von außen an dich herangetragen wird. Der Druck, sich Schönheitsidealen und Vorstellungen von Weiblichkeit hinzugeben – ob du dich selbst so magst oder nicht. Das spricht viele junge Frauen an, weil wir gerne anderen gefallen wollen – und Heidi sagt uns, wie es geht.
Der Schreckmoment
Das alles weiß und kritisiere ich jetzt schon seit Langem. Und wisst ihr, was passiert, wenn ich GNTM schaue? Ich rege mich auf. Zuerst über die peinlich-offensichtliche Werbung, über die Bemerkungen der Jury, über Heidi Klums gesamte Masche und alles, was hinter ihr steht. Und auch über die jungen Models. “Meine Güte, die kann ja wirklich nicht laufen!”, “Halleluja, warum steht die so steif da herum, dass so kein schönes Fotos dabei herauskommt, das weiß man doch!” und so weiter. Ekelhaft. Ja. Ich erschrecke mich und ekele mich vor mir selbst. Ich dachte, ich stehe da drüber. Ich dachte ich weiß, dass Schönheit so viel mehr ist, als das, was GNTM uns zeigt, ich dachte, ich weiß, dass Schönheit einerseits so viel sein kann und andererseits auch gar nicht so wichtig sein sollte, ich dachte ich weiß, dass wir zusammenhalten und uns nicht gegeneinander stellen sollten. Ich dachte, ich wüsste es besser. Scheinbar nicht. Und das tut weh. Ich bewundere die Teilnehmerinnen von GNTM immer noch. Ich finde sie stark und mutig. Und ich finde es auch nicht schlimm, GNTM zu schauen. Es macht Spaß, einen Blick in diese glamouröse Welt zu werfen, die Models auf ihren Reisen zu begleiten und mit ihnen mitzufiebern, wenn sie sich schwierigen Aufträgen und Challenges stellen. Es macht Spaß, hinter die Kulissen zu schauen und einen Einblick darin zu bekommen, wie eine Modenschau abläuft, wie tolle Fotos entstehen und wie wir uns mit Make-up und Kleidern verändern können.
Auf der Suche nach Schönheit
Aber zu sehen, wie viel junge Frauen von sich unterdrücken müssen, weil sie jemand anderem gefallen wollen, auch das tut mir weh. Denn diese Vorstellungen davon, was und wen wir schön finden, was als weiblich gilt, was als erfolgreich gilt, als edgy, sexy und begehrenswert, die sitzen tief. Sie schränken uns ein, sie machen uns unzufrieden mit uns selbst, weil wir all das sein wollen, aber niemals sein können. Sie machen uns neidisch, weil andere Menschen scheinbar all das haben und all das sind. Sie machen uns einsam und traurig. Mich zumindest.
Ich habe gemerkt, dass es dauert, diese Vorstellungen abzulegen, und dass es Arbeit kostet, ganz aktiv. Ich versuche, nicht nur mich aus allem, was dazu führt, dass ich mich schlecht, hässlich, langweilig und nicht genug fühle herauszuhalten. Ich muss ganz aktiv dagegen arbeiten. Ich suche bewusst nach Vorbildern, die aus der Reihe tanzen, nach Serien, Musik und Büchern, die die Vielfältigkeit unseres Lebens und unserer Körper sehen und feiern, ich suche nach Menschen, die tolle Dinge tun, die auch zweifeln und auch mal traurig und wütend sind, die total normal und langweilig sind, die auch mal Fehler machen, die sich etwas trauen – auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht nicht so aussieht. Und ich suche nach dem Schönen in und an Menschen. Und auf einmal fällt mir auf, wie Vieles ich schön finden kann. Dass ich runde Bäuche schön finden kann, schiefe Zähne, behaarte Beine und Dehnungsstreifen, Frauen mit unreiner Haut, Männer mit Lippenstift, Menschen in Gammeloutfits, Menschen mit echten Tränen, Wut und Begeisterung im Gesicht, Menschen im Rollstuhl, alte Menschen und Menschen, die so aussehen wie ich. Und mich. Ich kann mich schön finden. Nicht immer, nicht jeden Tag. Und das ist auch okay. Aber ich kann jetzt nur noch gewinnen. Und alle um mich herum auch.“