„Warum Mädchen bessere Noten haben, Buben aber Karriere machen“

„Sie sind fleissiger und machen die besseren Abschlüsse: Mädchen übertrumpfen Buben in der Schule. Doch im Berufsleben hinken sie hinterher. Da helfen auch keine Frauenquoten. Die Probleme liegen in der Kindheit.
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Gerade Mädchen wird oft ein Bild vermittelt, das auf den ersten Blick zwar erstrebenswert scheint, den Kindern aber später schadet: «Sei brav, sei fleissig, mach mehr, als die Lehrer fordern.» Wer sich daran hält, erhält meistens gute Noten, wird im Berufsleben aber darunter leiden. Die Mädchen hecheln einem Ideal hinterher, das keines ist. Und das weit über den Schulabschluss hinaus.
Dabei ist Bildung Frauensache. Zumindest wenn es nach den Zahlen geht. Nicht nur, dass Mädchen in der Regel bessere Noten erhalten, wie Studien belegt haben. Sie sind auch in der höheren Bildung erfolgreicher. Die gymnasiale Maturitätsquote von Frauen liegt bei 25 Prozent, jene der Männer bei 17,5 Prozent. Auch bei den landesweit 152 000 Studierenden sind Frauen in der Mehrheit. So liegt das Verhältnis auf dem Campus der grössten Hochschule des Landes, der Universität Zürich, bei 58 zu 42 Prozent. Studentinnen dominieren die Bildungsstätten.
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Schlau, aber unsicher

Dafür gibt es Gründe: Studiums-Wahl, Teilzeitanstellung, Mutterschaftspausen, aber auch strukturelle Hürden und Vorurteile sorgen dafür, dass Frauen in Spitzenpositionen untervertreten sind. Doch ein unterschätzter Faktor beeinflusst den künftigen Weg schon im Kindesalter: der Drang nach Perfektion. Die amerikanische Psychologin Damour empfängt viele Mädchen in ihrem Büro, deren Gewissenhaftigkeit ihre grösste Schwäche ist. Die Kinder polieren jede Arbeit auf, schreiben Aufsätze bei kleinsten Unschönheiten komplett neu und haben dennoch das Gefühl, zu wenig getan zu haben. Trotz Bestnoten fühlen sie sich von der Schule überfordert, schreibt sie in der «New York Times».
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Mädchen sind zwar kompetent – und wissen oft mehr als Buben –, haben aber wenig Selbstvertrauen. Eine Entwicklung, die auch Studien belegen. Wenn Kinder ihre Fähigkeiten einschätzen sollen, bewerten Buben diese höher, als sie tatsächlich sind. Bei Mädchen ist es umgekehrt.
Der Mangel an Selbstvertrauen lässt sich später nur schwer beheben. Dadurch entsteht im Berufsleben ein Ungleichgewicht, das auch für Firmen schädlich ist: Selbst unterqualifizierte und unvorbereitete Männer haben keine Probleme damit, neue Herausforderungen anzunehmen, während überqualifizierte und bestens vorbereitete Frauen sich lieber zurückhalten. Männer steigen auf, Frauen nicht.

Falsches Lob

«Mädchen sind überangepasst», sagt Stamm. Sie spürten wie ein Seismograph, was den Eltern gefällt, und würden sich anpassen. Ein Teufelskreis, denn Mütter wie Väter bekräftigen dieses Verhalten, sei es durch Zustimmung oder durch Belohnungen. «Dabei ist Lob für unnötige Extraarbeit schlecht für die Kinder», sagt Stamm. Buben würden sich in der Regel anders verhalten. Sie machten schulisch oft nur so viel, um sich nörgelnde Eltern vom Hals zu halten. Wenn sie einmal schlechte Noten bekommen, stecken sie mehr Zeit in die nächste Prüfung – und sehen, dass sie vieles erreichen können, wenn sie nur wollen. Und sie lernen, dass sie sich auch mal durchwursteln können.
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Auch die Lehrer üben einen entscheidenden Einfluss aus. Anders als bei Buben würde abweichendes Verhalten bei Mädchen viel weniger toleriert, sagt Stamm. «Wenn ein Mädchen vorlaut, frech und willensstark ist, gilt es sofort als verhaltensauffällig.» Doch dieses Benehmen steigere auch die Durchsetzungsfähigkeit. «Stattdessen werden Geschlechterrollen zementiert.» Besonders die Generation Z (ab Jahrgang 2000) sei auf diese Art erzogen worden.
Zudem gebe es eine Rückbesinnung auf alte Klischees: Pink für Mädchen, hellblau für Buben. «Eltern sehen die Prinzessin oder den Draufgänger», sagt Stamm. Buben würden im Wettbewerb gestärkt. Wer ist der Schnellste? Wer der Stärkste? Die Mädchen nicht. Ihnen werde beigebracht, dass gewinnen oder verlieren irrelevant sei. Dabei korreliert die Lust am Wettbewerb mit dem beruflichen Erfolg. «Statt den Wettbewerb zu meiden, sollten Schulen ihn hervorheben», sagt Stamm. Selbstzweifel können so zerstreut und die Risikobereitschaft gefördert werden.
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Psychologin Damour kommt deshalb zum Schluss: «Schulen sind heute Selbstvertrauens-Fabriken für unsere Söhne und Kompetenz-Fabriken für unsere Töchter.» Damour versucht deshalb, bei Mädchen immer den Glauben an sich selbst zu stärken.“

Vollständiger Artikel von Yannick Nock / Aargauer Zeitung

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Tel Aviv, 2019

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